„Dicke Marie“ (Berlin-Tegel)
Baumart | Stiel-Eiche (Quercus robur) |
Standort: | Berliner Forsten, im Forstamt Tegel, Revierförsterei Tegelsee, nahe Schloss Tegel, 100 m entfernt vom Schwarzen Weg Nr. 1 (Restauration Waldhütte), 50 m von nördlicher Seespitze Große Malche |
Alter: | 500-600 Jahre (geschätzt) |
Stammumfang: | 6,10 m (gemessen 12.2020 in 1,5 m Stammhöhe), 6,72 m in 1,3 m Höhe |
Höhe: | ca. 15-16 m |
GPS-Daten: | N 52.593599, O 13.264860 |
NEB seit: | 09. Juli 2021 (Bericht & Fotos) |
Etwas versteckt, abseits der Wege, steht diese alte Stiel-Eiche (Quercus robur) im Nordwesten Berlins, im Forstamt Tegel nahe dem Schlosspark Tegel und dem nordöstlichsten Zipfel des Tegeler Sees, der sogenannten Großen Malche. Als ein beliebtes Ausflugsziel der Berliner zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ist die Eiche auf zahlreichen historischen Ansichtskarten dieser Zeit abgebildet als „Historische Eiche Dicke Marie“.
Diese Stiel-Eiche im Tegeler Forst ist ein Baum-Naturdenkmal im Ortsteil Tegel des Berliner Bezirks Reinickendorf und einer der ältesten und dicksten Bäume der Stadt. Ihren Namen hat die „Dicke Marie“ – so heißt es – von den Brüdern Alexander und Wilhelm von Humboldt, die unweit im Tegeler Schloss aufwuchsen und Gefallen an der alten Eiche gefunden hatten. Sie sollen den Baum nach ihrer Köchin Marie benannt haben, die „wohlbeleibt“ gewesen sein soll und damit dem auffälligen „Hüftpolster“ der Eiche entsprochen haben könnte. Dieser Interpretation möchte ich jetzt hier nichts hinzufügen, obwohl ich einige Fragen und Vorschläge dazu hätte…
Auf alten Postkarten ist sie als Solitär direkt neben einem breiten Fußweg und freistehend an einer Wiesenfläche zu sehen. Aufwuchs in ihrer unmittelbaren Umgebung und die daraus resultierende Beschattung über die letzten Jahrzehnte haben nachfolgend zu einem Absterben der Äste im unteren Kronenbereich geführt. Mit ihrer nunmehr deutlich reduzierten Krone über dem mächtigen walzenförmigen Stamm hat es die Eiche schwer, genügend Licht für die Photosynthese und Zuckerproduktion zu erhalten. Man darf sie jetzt aber auch nicht plötzlich freistellen. Dies muss behutsam erfolgen, sonst würde sie das übelnehmen.
Aufgrund des beuligen Stammes mit seiner wulstigen Verdickung im unteren Stammbereich ist der exakte Stammumfang nur etwas ungewöhnlich ermittelbar. Knapp oberhalb des verdickten Stammsockels in 1,5 m Höhe beträgt der aktuelle Umfang 6,10 m. Der jährliche Zuwachs ist gering, er wurde in genannter Stammhöhe für die letzten 10 Jahre mit lediglich 5 cm ermittelt. In 1,3 m Höhe beträgt der Umfang 6,72 m.
Über das Alter der Dicken Marie gibt es viele Aussagen, 350 Jahre (Wikipedia) oder über 800 Jahre (Tafel am Baum) Jahre soll sie alt sein oder auch tausendjährig nach verschiedenen Angaben in Büchern und im Internet. Die letzten beiden Altersangaben können ganz sicher nicht zutreffen. Der besondere knorrige Habitus zeigt allerdings, dass ihr Alter höher ist, als wenn man ihn nur nach ihrem Stammdurchmesser einschätzt. Die Krone war sicher früher lange Zeit viel größer, als der Baum freistehend aufgewachsen ist, das bezeugen die sehr dicken unteren (z.T. toten) Äste. In einer alten Quelle aus dem Jahr 1906, einem Entwurf für ein Forstbotanisches Merkbuch der Provinz Brandenburg, ist diese Eiche bereits erwähnt. Dort heißt es: „Im Jag 74 am Wiesenrande im Vorland des Tegeler Sees an dem zum Tegeler Schloßpark aus Jag 75 führenden Wege als Grenzbaum der Forstdienstwiese und der Tegeler Schloßwiese steht eine Steineiche, die „Dicke Marie“. 5,25 m Umfang und 10 m Höhe, Krone vom Sturm gebrochen. Der Stamm bildet aus jungen Zweigen eine neue Krone. Wird auf 500 Jahre geschätzt, weil bei einer 1890 vom Sturm gefällten benachbarten Eiche von gleicher Stärke 470 Jahresringe gezählt wurden.“ Wenn man diese Angabe auf heute umrechnet, könnte sie etwa 600 Jahre alt sein, was ziemlich gut mit unserer Einschätzung auf 500-600 Jahre übereinstimmt. Genauer kann man es nicht eingrenzen.
Historische Umfangangaben sind immer kritisch zu hinterfragen: Wir wissen nicht, wie sorgfältig der seinerzeit Messende vorging, in welcher Höhe des Stammes er exakt gemessen hat, an welcher Stelle des Stammes er die Messhöhe ermittelt hat. Nimmt man den damaligen Stammumfang (5,25 m) und unterstellt die seinerzeit übliche Messhöhe (1 m), dann beträgt der Unterschied zum heutigen Umfang (6,72 m) in derselben Höhe 1,47 m. Auf die gesamte Lebenszeit bezogen ergäbe sich somit ein Alter von etwa 500 Jahren. Hierbei muss beachtet werden, dass der Baum vor dem Verlust seiner Krone vor etwa 115 Jahren wohl eher stärker gewachsen ist, seit diesem Verlust aber einen extrem geringen Zuwachs haben dürfte. Zusammengefasst ist daher eher von einem deutlich geringeren Zuwachs seit damaliger Zeit auszugehen, und so kommt man dann letztendlich zu einem Alter von etwa 600 Jahren.
Auch wirken sich die standörtlichen Verhältnisse auf engstem Raum stark aus. Sie sind hier am Fuße einer Düne aus Feinsand im Übergangsbereich zu einer Flugsandfläche zwar grundsätzlich nährstoffarm, aber wenige Meter Abstand können mehr Grundwassernähe oder -ferne bedeuten. Heute befindet sich in etwa 10 m Entfernung eine feuchte Senke, welche die Eiche seit langer Zeit mit ihren Wurzeln erreicht haben dürfte. Zudem ist der See Große Malche nur 50 m entfernt – der Grundwasserstand ist somit an der Eiche mit etwa 2 m unter Flur anzusetzen, ein ziemlich optimaler Zustand. Daher dürften ihr die Trockenjahre 2018-20 auch nicht viel ausgemacht haben.
Die historische Quelle weist auch auf die Funktion dieser Eiche hin. Sie war darin als Landmarke ein Grenzbaum, vermutlich ebenso die Humboldteiche am Tegeler Schloss (400 m östlich der Dicken Marie). Die Grenze trennte die Gemarkungen Tegel und Heiligensee.
Die Dicke Marie wurde bereits 1987 erster Baum einer Sammelteller-Serie „Uralte Riesen“ der bekannten Tirschenreuth Porzellan-Manufaktur über besondere, alte Bäume damals West-Deutschlands, was die große Bedeutung und Bekanntheit der Eiche seit langer Zeit sehr deutlich macht. Es handelt sich um eine Tellerserie mit 8 Bäumen, angestoßen von Prof. Hans Joachim Fröhlich mit seiner Initiative „Alte liebenswerte Bäume“. Der Schmuckteller zeigt ein sehr schönes Bild des Baumes aus früheren Zeiten, das tatsächlich genau diesen Baum darstellt: man findet noch alle Starkäste des heutigen Baumes auf dem Bild von 1986.
Auf Wikipedia heißt es: „Ihr sehr flaches, helles Rindenbild spricht für ein noch relativ junges Alter – die Borke älterer Eichen ist im Gegensatz sehr dunkel und tief zerfurcht, was bei der Dicken Marie nicht der Fall ist.“ Diese gelegentlich zu hörende Einschätzung ist irreführend, denn das Borkebild hängt u.a. von genetischen Faktoren und der Zuwachsgeschwindigkeit des Baumes ab, welche bei diesem Baum aber seit 50 Jahren sehr gering ist, so dass das Borkebild dadurch „verfälscht“ wird. Eine wirklich genaue Altersbestimmung durch eine Kernbohrung ist nicht mehr hilfreich, da das Stamminnere mit Sicherheit zu großem Anteil faul und hohl ist, also im Inneren des Stammes keine Jahresringe aus dem frühen Baumleben mehr zu erkennen sind.
Die Eiche produziert mit ihrer kleinen Krone nur eine geringe Anzahl von Eicheln, die schnell von Wildschweinen gefressen und von Besuchern gesammelt werden, so dass kaum welche zur Keimung gelangen.
An diesem Baum sollen nun aufgrund seiner dafür günstigen Umfeldbedingungen möglichst wenig oder keine Verkehrssicherungsmaßnahmen durchgeführt werden, sondern wir wollen ihn in Würde altern lassen, um zu zeigen wie dieser Prozess ohne Eingriffe verläuft. Daher darf der Standraum des Baumes auch nicht betreten werden, denn es können jederzeit Äste herunterfallen. Die Zukunftserwartung für diese Eiche ist völlig offen: es können noch 50, aber auch 500 Jahre sein – wir werden sehen, bzw. wohl eher unsere Nachkommen, denn wir sind zuversichtlich, dass er 1000 Jahre schafft. Wir haben ihn jedenfalls nun auf diese Bahn gebracht. Man muss nur immer wieder das Wachstum umstehender Bäume zurücknehmen, damit die Dicke Marie nicht einwächst und zu stark beschattet wird.
Bei der Dicken Marie handelt es sich um den ersten Forstbaum unter unseren Nationalerbe-Bäumen! Er steht unter Regie der Berliner Forsten im Forstamt Tegel und ist daher etwas ganz Besonderes. Uralte Forstbäume sind so selten infolge Beschattung und Konkurrenz durch jüngere Nachbarbäume und wegen der dafür notwendigen Sensibilität der Forstpraktiker über Jahrhunderte, was nicht immer gegeben ist. Hier sind die jetzigen Tegeler Forstleute beeindruckend engagiert und motiviert, das ist eine große Freude.
Text: nach Andreas Gomolka im DDG-Kalender Starke Bäume 2017, verändert und ergänzt
Baumpflege- und Sicherungsmaßnahmen (großteils erfolgt):
- Überprüfung der Verkehrssicherheit und Einschätzung der Lebenserwartung
- routinemäßige Kronenpflege
- Optimierung des Stammumfeldes und Erneuerung seiner Abgrenzung zum Verhindern seines Betretens
- Zurücknahme (Astentnahmen oder -Einkürzungen/Beseitigen) umstehender Bedrängerbäume, welche die Eiche zu sehr beschattet/eingeklemmt haben