Mächtige Flatter-Ulme in Bierde, OT von Petershagen (Kreis Minden-Lübbecke)

Hofulme Bierde: Rückansicht des Stammes, wo 1930 ein Stamm- und Kronenteil herausgebrochen ist (s. Text zum Baum oben)
BaumartFlatter-Ulme (Ulmus laevis)
Standort:Ortsteil Bierde zu Petershagen, Straße Osterend Nr. 17 (am südöstlichen Dorfende, dort ist der Baum direkt an der Straße nicht zu verfehlen; er ist sogar im Navi als „Alte Ulme“ eingetragen); Bierde liegt im nordöstlichsten Zipfel von NRW, etwa 5 km östlich der Weser; ca. 15 km von Minden und 20 km vom Porta Westfalica-Blick entfernt; Kreis: Minden-Lübbecke, Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Alter:ca. 500 Jahre (400-600)
Stammumfang:8,60 m in 0,9 m Stammhöhe (Taille, gemessen Aug. 2023)
Höhe:ca. 19 m
GPS-Daten: N 52.368289, O 9.045593
NEB seit:04. August 2023  (Bericht & Fotos)

Diese Flatter-Ulme strahlt eine enorme Würde und Stärke aus. Mit ihrem schiefen, mächtigen und stark wulstigen Stamm und ihren Brettwurzeln (typisch für Flatter-Ulme) ist sie ein Baum, an dem man sich etwas Zeit nehmen sollte (ja muss!), wenn man das erste Mal dort ankommt. Dann wandert man am besten das Sträßchen auf und ab und gegenüber auf die Wiese, um die Ausstrahlung des Baumveterans wirken zu lassen. Mit einem Stammumfang von fast 9 m ist sie wohl die 4.-stärkste Ulme Deutschlands. Ihre stärkste Schwester in Gülitz/Brandenburg wurde dort auch bereits zum Nationalerbe-Baum ernannt.

Dieser Baum wurde bisher meist als Berg-Ulme bezeichnet, was mich (und andere) irritiert hat – denn über ihre Artzuordnung kann es eigentlich keinen Zweifel geben. Flatter-Ulmen erkennt man gut an den lang gestielten Blüten und Früchten (daher der Beiname „Flatter-„: im Wind), den ungegabelten Seitennerven in der vorderen Blatthälfte (man findet auch im Winter immer welche im Baumumfeld auf dem Boden), an den brettartig entwickelten Wurzelanläufen und den vielen Stammaustrieben. Alles trifft bei diesem Baum zu.

Schon mehrmals war die Ulme von strategischer Bedeutung: Im Befreiungskrieg 1813-15 gegen Napoleon hatten die an der Seite Preußens kämpfenden Russen ihr Lager in der Ortschaft Bierde aufgeschlagen; die russischen Offiziere, denen damals dieser wuchtige Baum schon auffiel, nahmen in seinem Schatten ihre Mahlzeiten ein, was sein hohes Alter bereits unterstreicht. Und im April 1945 fand ein Gefecht zwischen 5 von Süden her angreifenden deutschen Panther-Panzern und bereits in der Ortschaft und insbesondere auf diesem Hof eingerückten Engländern statt, die einige Panzerabwehrkanonen in Stellung gebracht hatten, wobei auch die Ulme beschädigt wurde. Weitere zahlreiche Einschusslöcher sind in den vorhandenen Gebäuden noch heute zu sehen.

Nach dem Krieg war die Ortschaft und auch dieser Hof ehemaligen russischen Kriegsgefangenen als Wohnstatt zugewiesen worden; diese nutzten die Ulme intensiv als Feuerholz, was zur weiteren Schädigung führte. Davon hat sie sich aber erstaunlich gut erholt und dadurch sogar ihren überwältigenden Charakter erlangt.

Auf der Stammrückseite brach um 1930 ca. 1/3 des Stammes mit starken langen Ästen langsam heraus; daraufhin wurden drei Stahlstützen mit einem großen Betonklotz zur Sicherung angebracht. Der so gesicherte Teil des Baumes starb (ob infolge Beschusses, Abholzung, Windbruch oder Alterung ist unklar) dann immer mehr ab und letztendlich war kein lebendes Holz mehr in ihm vorhanden; die Stützen hingen in der Luft und wurden um 1985 daher entfernt.

Die Untere Naturschutzbehörde des Kreises Minden-Lübbecke ist hier sehr engagiert mit alten Bäumen und hat sich schon lange vorbildlich um dieses Naturdenkmal gekümmert, mit Pflege- und Sicherungsmaßnahmen, welche ihr Überleben ermöglicht haben.

In den letzten 10 Jahren soll das Grundwasser in der Umgebung des Baumes um 3-5 m abgesunken sein – dass sie trotzdem noch so vor Vitalität strotzt, deutet auf ihren natürlichen Vorkommens-Schwerpunkt in Auenwäldern hin, denn dort geschieht genau dies auch häufiger in trockenen Jahren.

Flatter-Ulmen sind zum Glück kaum von der Holländischen Ulmenkrankheit betroffen, dem sog. Ulmensterben – weshalb diese Bezeichnung auch nicht pauschal auf alle Ulmen zutrifft. Besonders betroffen ist davon vor allem die Feld-Ulme, und sie ist dadurch tatsächlich extrem selten geworden. Die Flatter-Ulme hingegen kann man wieder bzw. weiterhin bedenkenlos sogar als Stadt- und Straßenbaum empfehlen, sie kommt nicht nur mit den dortigen Stressverhältnissen gut zurecht, sondern eben auch mit der Krankheit, meist sogar besser als Züchtungen von sog. Resista-Ulmen.

Dieser Baum ist also das älteste lebende Familienmitglied der Eigentümerfamilie, wohl auch der älteste Bewohner des Ortes und soll nun mit unserer Unterstützung weiter in Würde altern. Die Eigentümerfamilie hat für den Baum vor einiger Zeit sogar einen direkt am Baum stehenden alten Geräteschuppen abgerissen, damit die Wurzeln der Ulme sich ungehindert ausbreiten und für Standfestigkeit sorgen können. Sie wurden schon 35 m vom Baum entfernt auf dem Hof gefunden.

Text und Bilder: Andreas Roloff, TU Dresden