Prangerlinde Großpörthen (Burgenlandkreis)

BaumartWinter-Linde (Tilia cordata)
Standort:direkt vor der Kirche Am Anger im Dorf Großpörthen; Lkr. Burgenland, Sachsen-Anhalt
Alter:700-900 Jahre (geschätzt)
Stammumfang:9,85 m (gemessen 01.2021 in 1,5 m Stammhöhe)
Höhe:ca. 12 m
GPS-Daten: N 50.997678, O 12.171613
NEB seit:11. Juni 2021

Diese Linde hat so einiges an schönen Überraschungen und Besonderheiten bereit, da weiß man gar nicht womit anfangen. Sie ist mit 9,85 m Stammumfang in etwa 1,5 m Höhe (schwierig mit der Messebene, da am Hang und der Stamm voller Rippen und Beulen) wohl die dickste Winter-Linde Deutschlands, obwohl sie in der Championtrees-Datenbank noch gar nicht auftaucht und auch noch kein Naturdenkmal ist (beides im Jan. 2021), weil sie – man glaubt es kaum bei ihren Ausmaßen – bis vor kurzem ziemlich unbekannt war. Aber das wird sich jetzt alles ändern, denn sie hat es zur Nr. 8 der Nationalerbe-Bäume geschafft und ist damit erster Vertreter Sachsen-Anhalts und erster Vertreter der Baumart Winter-Linde. Zur Unterscheidung von der Sommer-Linde unten mehr.

Ihr Alter ist – wie bei uralten Linden üblich – schwierig zu schätzen, aber man kann es eingrenzen auf 700-900 Jahre. Damit dürfte es wohl der älteste Baum Sachsen-Anhalts sein. Beim Stamm fehlt ein Teil hangaufwärts, der vor längerer Zeit (von einem älteren Einwohner des Dorfes wurde mir mitgeteilt: 1950) weggebrochen ist. Wenn man diesen Teil vorsichtig & seriös mit hinzurechnet, wäre der Stammumfang wohl etwa 15 m. Damit käme man bei mäßigem Wachstum – da Standraum nach 2 Seiten unmittelbar begrenzt ist (nach vorne Straße/Mauer, rechts Wohnhaus) – auf 800 Jahre, vorsichtiger ausgedrückt 700-900 Jahre. Dies ist insofern bedeutsam, da das Dorf mit 107 Einwohnern ausgerechnet in diesem Jahr 2021 sein 900-jähriges Bestehen feiert! Und eine möglicherweise 900-jährige Linde gehört zu den Ureinwohnern und wird nun gleichzeitig als Nationalerbe-Baum ausgerufen. Was für ein schönes Zusammentreffen, dies ist auch für uns vom Kuratorium sehr bewegend. Eine Vorgänger-Kirche/-Kapelle vor der heutigen Kirche von 1760 muss mindestens schon 1403 gestanden haben, denn von damals ist die Glocke der Kirche (dies ist sicher dokumentiert durch Glockengravur, und damit ist sie eine der ältesten, noch in Betrieb befindlichen Kirchenglocken Deutschlands). Somit reicht auch die Geschichte des Baumplatzes mit der Kirche mindestens sechs Jahrhunderte zurück.

Der Baumstandort an der Kirche und früher auf Kirchengrund (jetzt Gemeindeland) hat ihn wohl in den vergangenen Jahrhunderten vor der Holznutzung in Krisenzeiten bewahrt. In Zukunft wird das die Ausrufung zum Nationalerbe-Baum sicherstellen. Ihr Name Prangerlinde im lokalen Volksmund macht eine weitere Besonderheit deutlich: es dürfte sich um einen früheren Gerichtsbaum handeln, was so nah an der Kirche und mitten im Dorf glaubwürdig erscheint und bedeutet, dass dort Gericht gesprochen sowie Urteile gefällt und z.T. auch gleich vollzogen wurden. Darauf deutet das verrostete Halseisen am Baum hin. Dazu gibt es so eine schöne Geschichte in der Geocaching-Szene, dass ich sie hier zitieren möchte (aus geocaching.com):

„Vor vielen Jahren brannte auf einem Felde zwischen Wildenborn und Großpörthen ein Strohhaufen nieder. Kurze Zeit später hatte man auch schon die angeblichen Brandstifter ermittelt und gefänglich festgehalten. Es handelte sich dabei um drei Handwerksburschen, die in der Nähe des Strohhaufens gesehen wurden. Diese drei kettete man tagelang an die Prangerlinde in Großpörthen. Trotz der großen Schmach, die sie über sich ergehen lassen mussten, waren sie aber nicht zu bewegen, die ihnen zur Last gelegte Brandstiftung endlich einzugestehen.

Da der Winter kurz bevorstand und immer noch kein Urteil gefällt war, brachte man die Gefangenen im Wildenborner Gefängnis unter. Man setzte schließlich auf ein Gottesurteil. Es wurde beschlossen, an der Brandstelle drei Eichen zu pflanzen, und zwar so, dass die Äste in die Erde kamen und die Wurzeln gen Himmel ragten. Wenn die gepflanzten Eichen nun anwüchsen und grünten, wollte man das als Beweis für die Unschuld der drei Handwerksburschen ansehen und diese wieder freilassen. Bald kam der Frühling, und was geschah? Die drei Eichen wurden grün, als hätte man sie so in die Erde gesteckt, wie das beim Pflanzen von Bäumen üblich ist. Damit war das Gottesurteil gesprochen und die Unschuld der drei Handwerksburschen nun endlich bewiesen, so dass man sie noch am gleichen Tag auf freien Fuß setzte.“

Ja, wenn das heute noch so einfach zu entscheiden wäre mit inzwischen fast regelmäßig drei Instanzen bei fast jedem Gerichtsverfahren – das würde sicher zu einer gewaltigen Baumvermehrung überall im Lande führen! Noch dazu wären das ja dann auch gleich heilige Bäume…

Anzunehmen ist, dass die örtlichen Gerichtsherren die Linde tatsächlich als Pranger benutzten. Ein am Baum befestigter Eisenring wurde dem Verbrecher um den Hals gelegt, und ein Zettel beschrieb seine Verfehlungen. Noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war eine Bestrafung mit Halseisen an Bäumen verbreitet – die Übeltäter durften bespuckt und verhöhnt oder körperlich gezüchtigt werden. Mehr möchte ich dazu jetzt nicht schreiben.

Der Zustand des Baumes ist so, dass er etwas einfühlsame Pflege gebrauchen kann, z. B.:

  • Entfernen des Stahlbandes (das mittlerweile an einigen Stellen einwächst),
  • Erneuerung der Kronensicherung (die beide Stammteile zusammenhält und ein Wegbrechen verhindert),
  • Einkürzung der beiden Oberkronen (damit sie nicht zu kopflastig werden und das Risiko des Auseinanderbrechens der Linde erhöhen, bei vielen sehr alten Linden ein Dauerproblem).

Die vorgesehenen Maßnahmen werden das weitere Überleben dieses kostbaren Baumes für eine lange Zukunft sichern. Der Baum überwallt Faulstellen und Öffnungen am Stamm intensiv und treibt überall sehr wüchsig aus – was als ein sehr gutes Zeichen hoher Vitalität anzusehen ist. Es gibt ein Foto von 1928, wo es noch ein geschlossener Stamm war.

Die Baumart Winter-Linde kann als die „kleine Schwester“ der Sommer-Linde bezeichnet werden: mit kleineren Blättern, Zweigen und Früchten und geringeren Anforderungen an die Wasser-, Nährstoff- und Lichtversorgung. Hier eine Unterscheidungshilfe, wer sie nutzen möchte.

 

Winter-LindeSommer-Linde
Blätter unterseitsin den Nervenwinkeln rostrot-bärtig ± glattin den Nervenwinkeln weißbärtig; Nerven hervortretend
Knospenschuppen2 (selten 3)3 (selten 2)
Blüten/Früchte je Blütenstand5 bis 122 bis 5
Reife Früchteglatt, zerdrückbarmit Längsrippen, steinhart
Jahrestriebe & Blattstielekahlbehaart
Austrieb, Blütespäter (Ende Juni/Anfang Juli)zwei Wochen früher
Ansprüchegeringerhöher

Text: Andreas Roloff, aus DDG-Kalender „Starke Bäume 2022“

Baumpflege- und Sicherungsmaßnahmen (großteils erfolgt):

  • Überprüfung der Verkehrssicherheit und Einschätzung der Lebenserwartung
  • routinemäßige Kronenpflege
  • Optimierung des Stammumfeldes und seiner Abgrenzung zum Reduzieren des Betretens
  • umfangreiche, feinfühlige Einkürzungen der Stämmlings-Teilkronen zur Reduzierung der Kopflastigkeit und des damit verbundenen hohen Risikos des Auseinanderbrechens des Baumes
  • Erneuerung und Optimierung der Kronensicherungen (Verbindung beider Stämmlinge miteinander durch dynamische Kronensicherung)