Riesen-Lebensbaum (Bodensee-Stadt Lindau), Bayern

Riesen-Lebensbaum Lindau: ästhetisch absolut perfekter alter Riesen-Lebensbaum
BaumartRiesen-Lebensbaum (Thuja plicata, englisch: Western Red Cedar)
Standort:

Stadt Lindau am Bodensee, bei Bregenzer Str. 2 (im Festlandsteil der Stadt am Bodensee-Ufer); zwischen dem Fernbahnhof Lindau-Reutin und der Verbindungsstraße zur Insel, im Toskanapark an seinem östlichen Ende, mit Panoramablick über den Bodensee auf die Alpen (meist schneebedeckte Bergkette bis über 2.500 m Höhe mit Säntis); Landkreis Lindau (Bodensee), Regierungsbezirk Schwaben, Bundesland Bayern

Alter:ca. 150 Jahre (aus Parkhistorie hergeleitet: Parkanlegung 1876 – er kann aber auch etwas jünger sein)
Stammumfang:5,25 m in 1,3 m Stammhöhe (gemessen im Juli 2024)
Höhe:ca. 30 m
GPS-Daten: N 47.550192, O 9.694856
NEB ab:März 2025 (die Ausrufung findet am 6. Juni 2025 um 16 Uhr statt)

Dieser neue Ehrenbaum ist einer der fünf dicksten Riesen-Lebensbäume von Deutschland und noch relativ unbekannt. Sein Stamm ist sehr gut sichtbar, bei den meisten Riesen-Lebensbäumen hingegen ist er durch Äste verdeckt. Dieser Baum sieht insgesamt einfach perfekt aus, und auch das Ambiente um ihn herum ist einmalig. Er steht auf dem vor 155 Jahren aufgeschütteten Uferbereich (2,5 m über Mittelwasser) in einer kleinen Parkanlage mit Toskana-Villen, Freitreppe zum See und einem sagenhaften Blick über den Bodensee auf das Alpenpanorama. Wer hier ankommt, wird sich erstmal ein schönes Plätzchen in Baumnähe suchen (Bänke gibt es genug), um die einmalige Bodensee-Stimmung mit Blick auf die nahe Lindau-Insel zu genießen – und anschließend sind es ungefähr 15 min Fußweg bis zur Insel. Für seine Insel war Lindau schon bisher berühmt und ganzjährig sehr beliebt. Nun kommt als Attraktion noch dieser Lebensbaum als Nationalerbe hinzu.

Als wir mit unserem Anliegen bei den Verantwortlichen für die Lindauer Grünanlagen vorsprachen, war das Erstaunen ziemlich groß: „Was, unser Lebensbaum soll Nationalerbe werden – ist das wahr?“ Auf unsere Bestätigung hin folgte große Begeisterung und Stolz, die Besonderheit dieses Baumes war wohl eine Riesen-Überraschung selbst für Stadtgrün-Insider. Aber da sich die Verantwortlichen bei den Garten- und Tiefbaubetrieben Lindau für die Grünflächenpflege um sehr viele besondere und exotische Bäume in ihrer Stadt kümmern müssen und dies auch spürbar gerne und verantwortungsbewusst tun, ist unsere Auszeichnung dieses Lebensbaumes nun auch eine besondere Anerkennung ihrer Kompetenz und ihres Engagements. Wer sich in Lindauer Gärten, Parks und Grünanlagen umsieht, entdeckt viele dendrologische Kostbarkeiten: besondere Bäume und Baumarten, viele davon schon in stattlichem Alter. Um die historische Altstadt im Topzustand kennenzulernen, benötigt man gerne 2-3 Tage, also unbedingt gleich mit einplanen, ist klar: Insel-Flair, Stadthistorie, Künstlerszene, Gaststätten & Cafés, traumhafte Spazierwege in der Stadt und Radwege am Bodensee-Ufer (auch rund um den See).

Riesen-Lebensbäume können bis zu 70 m hoch werden, in Deutschland erreichen sie bisher an die 40 Meter – dieser Baum ist etwa 30 m hoch. Abgestorbene Äste verbleiben beim Lebensbaum lange am Stamm, da das Holz sehr pilzresistent ist. Untere herabhängende Äste bewurzeln sich zudem, wenn sie dem Boden aufliegen, und richten sich dann am Ende auf: die sog. „Schleppenbildung“ von aufrechten Nachkommen um den Mutterbaum herum. Ein dafür besonders beeindruckendes Exemplar steht nicht weit entfernt im frei zugänglichen Schlosspark Lindau-Holdereggen (1 km Fußweg = 15 min, Zugang Holdereggenstraße 21 im Stadtteil Aeschach) gleich neben der im dortigen Schloss befindlichen Musikschule.

Dies ist eine immergrüne Nadelbaumart mit Schuppenblättern: die sind an Haupttrieben mit abstehenden Spitzen länglicher als an Seitentrieben und haben auf dem Rücken immer eine Drüse. Die Schuppenblätter an den Seitentrieben treten als Kanten- und Flächenblätter immer paarweise um 90° versetzt auf und bedecken die deutlich zusammengedrückten Seitenzweiglein vollkommen. Sie haben unterseits auffällige weißliche Flecken mit „Schmetterlingsmuster“, sind immergrün und fallen nach etwa 3 Jahren mit den Zweiglein ab, an denen sie sitzen. Die Zapfen sind im Unterschied zu Scheinzypressen länglich, und ihre länglichen Schuppen öffnen sich nur an einem Ende, bei Scheinzypressen rundherum.

Das Heimatareal des Riesen-Lebensbaums ist ein Streifen entlang der nördlichen Westküste der USA (am Pazifik) und der südlichen Pazifikküste Kanadas mit den Städten Vancouver und Seattle und bis an die Westhänge der Rocky Mountains reichend. Dort kommt er einerseits direkt an der Küste vor, steigt aber auch bis über 2.000 m Seehöhe ins Gebirge. In seinem Verbreitungsgebiet ist es dort in Küstennähe im Sommer regelmäßig sehr trocken (oft monatelang ohne Niederschläge), und im Gebirge kann die Temperatur im Winter bis unter -50°C sinken. Es gibt dort etliche uralte Methusalems dieser Baumart. Den wohl ältesten im Nationalpark auf der Olympic Peninsula habe ich mehrmals aufgesucht, als wir vor 30 Jahren dort jährlich 3 Wochen ein internationales Forststudenten-Praktikum zum Kennenlernen nordamerikanischer Wälder veranstaltet haben, an dem immer auch reichlich Teilnehmer:innen der Forstwissenschaften von der TU Dresden beteiligt waren. Bei Interesse an diesem Baumgiganten bitte googeln: Kalaloch Cedar Tree (meine eigenen Bilder von damals sind leider nicht mehr brauchbar).

Der englische Name ‚Western Red Cedar‘ ist ein bisschen verwirrend, da es ja keine Zeder ist. Aber das Holz riecht ähnlich aromatisch und hat eine ähnlich schöne rötliche Färbung wie bei Zedern. Und es ist so dauerhaft, dass es 100 Jahre und länger ohne Pilzschutzmittel bei Verwendung im Freien hält! Daher gibt es eine unglaubliche Vielfalt seiner Holznutzungen, u.a. für Dachschindeln, Fässer, Möbel, Fenster und Türen, Gartenmöbel, Holzzäune, Kanus, Totempfähle und als Konstruktionsholz. Auch als lebende Pflanze wird der Riesen-Lebensbaum vielfältig und gerne verwendet (z.B. als sehr beliebte immergrüne und gut zu schneidende Heckenpflanze), hat allerdings den „Makel“ eines Friedhofsbaumes – was aber unfair ist, denn er kann ja nichts dafür, dass man ihn so oft auf Friedhöfen sieht. Seine Anspruchslosigkeit ist einfach genial. Floristen nutzen seine Zweige zudem häufig für Gestecke, da sie so aromatisch riechen und in Vasen schön überhängen.

Neuerdings wird er auch in hiesigen Wäldern für die Forstwirtschaft getestet, mit bisher ziemlich guten Erfahrungen: vor allem wegen seiner hohen Schattentoleranz hält er auch im Unterstand älterer Bäume problemlos durch. Und die in höherem Alter attraktive Holznutzung wurde oben schon angesprochen.

An diesem Lindauer Riesen-Lebensbaum besteht derzeit kein Handlungsbedarf, aber das Befahren der Wiese, auf der er steht, soll noch effektiver unterbunden werden, da Nadelbäume sehr empfindlich auf Bodenverdichtung reagieren.

 

Text und Fotos: Andreas Roloff, TU Dresden