Besonderheiten und Potenziale langlebiger Baumarten

Prof. Dr. Andreas Roloff

Die sog. langlebigen Baumarten können ein Höchstalter von über 400 Jahren erreichen [7], einzelne Exemplare z. T. sogar über 1.000 Jahre. Es ist beeindruckend sich klarzumachen, dass sie also über so lange Zeiträume alle Ereignisse, Veränderungen und Variabilitäten von Standort, Umfeld und Klima tolerieren können. Demzufolge darf man bei ihnen auch von einem besonders hohen Anpassungspotenzial ausgehen. Durch ihre lange Lebensdauer entwickeln sich diese Bäume häufig zu sehr eindrucksvollen Baumgestalten, z. T. wie Skulpturen.

Solche langlebigen Baumarten sind in vielfacher Hinsicht oft besonders wertvoll, z. B. für den Artenschutz als Habitatbäume (Vögel, Fledermäuse, Insekten, Moose, Flechten etc.), für den Denkmalschutz als Relikte der Parkgeschichte oder vormaliger Baumgenerationen, für Umweltbildung als Demonstrationsobjekte sowie für Erholung und Wohlbefinden als mentale Ankerpunkte u. Ä. Sie stellen daher auch nachvollziehbar den höchsten Anteil unter den Baum-Naturdenkmalen (vor allem Eichen und Linden), und dies macht deutlich, welche Verantwortung wir für solche alten Bäume haben und dass alles daran zu setzen ist, sie der Nachwelt zu erhalten. Pflegemaßnahmen an solchen Altbäumen sollten nur wirklich ausgewiesenen Experten überlassen werden oder wo möglich sogar unterbleiben, da diese Bäume ihre Lebens- und Wachstumsprozesse in besonderer Weise selbst optimieren können.

Wer einen dieser Bäume pflanzt, glaubt an die Zukunft, denn den ausgewachsenen Baum werden erst die Urururenkel erleben. Die Reihenfolge der sechs hier vorgestellten Baumarten richtet sich nach der maximalen Lebenserwartung. Der Olivenbaum (Olea europaea) würde auch dazugehören, bleibt aber unberücksichtigt aufgrund zu geringer Winterhärte, ebenso der Wacholder (Juniperus communis), da dieser zu selten baumförmig auftritt. Zusätzliche Informationen zu diesen und weiteren Baumarten findet man z. B. bei Bärtels und Schmidt [1], bei Citree [3] und bei Roloff et al. [9].

 

Abb. 1: Esskastanien-Methusalem mit 12,50 m Stammumfang und einem Alter von etwa 1.000 Jahren (Tortworth/Gloucestershire, GB)

Abb. 2: Alterungsprozess langlebiger Baumarten (z. B. Eiche, Linde): schematische Darstellung in zehn verschiedenen Stadien über einen Lebenszyklus von 500 bis 1.000 Jahren (Erläuterung im Text)

Alterungsprozesse und Vitalitätsbeurteilung im Alter

Der älteste lebende Baum der Welt mit einem durchgängig lebenden Stamm ist eine Langlebige Grannenkiefer (Pinus longaeva) im Hochgebirge Nevadas/USA mit ca. 5.000 Jahren [10, 12]. Bei einer Reihe von Baumarten treiben klonal aus oberflächennahen Wurzeln auch schon zu Lebzeiten des Altbaumes ständig neue Schösslinge aus, die sog. Wurzelbrut. Zu diesen Arten gehören beispielsweise die Robinie (Robinia pseudoacacia), die Zitterpappel (Populus tremula) sowie die Grauerle (Alnus incana). Bei solchen vegetativ entstandenen Bäumen zählt man das Alter immer wieder von 1 an, rechnet also nicht das Alter der (oft gar nicht genau bekannten) Vorgängerbäume mit hinzu. Der gesamte Klon (also nicht der Einzelbaum) ist dann inzwischen so alt wie der erste, ursprüngliche Mutterbaum (oder wäre, falls er bereits abgestorben ist). Klonbäume können theoretisch immer weiterleben mit dieser Strategie und in Einzelfällen mehrere 10.000 Jahre alt sein (bekanntes Beispiel hierfür ist der Klon ‚Pando‘ mit über 40.000 Individuen der Nordamerikanischen Zitterpappel, Populus tremuloides, [11]). Sie sind dadurch also quasi „unsterblich“ – bis sie ggf. von einer Krankheit oder einem einschneidenden Naturereignis komplett zum Absterben gebracht werden. Für das Thema Uraltbäume mit einem durchgängig lebenden Stamm ist eine Unterscheidung von drei Baumartengruppen nach ihrer Langlebigkeit wichtig, die sich inzwischen für verschiedene Fragestellungen bewährt und etabliert hat [6]:

  • Kurzlebige (KL) mit 80 bis 100 Jahren Lebenserwartung: z. B. Kultur-Apfel, -Birne, -Kirsche, Sand-, Moorbirke, Blauglockenbaum, Eberesche, Schwarzerle, Götterbaum, Mehlbeere, Hybridpappel, Fahlweide.
  • Mittelalte (MA) mit 150 bis 300 Jahren Lebenserwartung: z. B. Spitz-, Bergahorn, Amberbaum, Rotbuche, Roteiche, Esche, Stechfichte, Hainbuche, Baumhasel, Gleditschie, Schwarz-, Waldkiefer, Nussbaum, Schwarzpappel, Robinie, Rosskastanie, Schnurbaum, Flatterulme, Silberweide.
  • Langlebige (LL) mit über 400 Jahren Lebenserwartung: z. B. Eibe, Stiel-, Traubeneiche, Ginkgo, Esskastanie, Eur. Lärche, Sommer-, Winterlinde.

Es geht hier im Folgenden um die dritte Gruppe – die langlebigen Baumarten (LL) – und dabei um sog. „Methusalembäume“ mit 1.000 und mehr Jahren Lebenserwartung, entsprechend den Lebensstadien V bis IX in Abb. 2, welche beim Alterungsprozess im Idealfall an diesen Baumarten unterschieden werden können (genaue Altersangaben/-spannen dafür sind nicht möglich, da es zu sehr von der Baumart, dem Standort und erfolgten Schäden abhängt):

  1. Jugend-Phase: Kronenaufbau, Etablierung oder Pflanzung am Standort;
  2. Explorations-Phase: Netzwerk von Langtrieben im Wipfelbereich;
  3. Degenerations-Phase: Längliche Bürstenstrukturen;
  4. Stagnations-Phase: Kurztriebkrallen bzw. Pinsel-Strukturen im Wipfelbereich;
  5. Retraktions-Phase: Absterben mehrerer Hauptachsen im Wipfelbereich;
  6. Kronenrückbau-Phase: Aufbau einer Sekundärkrone in mittlerer Baumhöhe;
  7. Baumveteran-Phase: Stammöffnungen/-fäulen, Verdichtung der Sekundärkrone;
  8. Zerfalls-Phase: Zerfall des Stammes in Teilbäume;
  9. Baummonument-Phase: mehrere eigenständige Individuen;
  10. Verjüngungs-Phase.

Die langlebigen Baumarten müssen über ein sehr ausgeprägtes und erfolgreiches Reaktions-, Überwallungs- und Kompartimentierungs-Vermögen (u. a. CODIT [4]) verfügen, damit sie älter als 1.000 Jahre werden können. Zudem gehören spätestens ab einem Baumalter von 200 bis 400 Jahren (Stadium V in Abb. 2) Absterbeprozesse mit zur Überlebensstrategie solcher Bäume, in dessen Verlauf die Kronen meist sukzessive kleiner und die Transportwege somit kürzer werden (Stadien V bis IX). Neueste Untersuchungen dieser Alterungsprozesse an sehr alten Bäumen (Abb. 3a-d) haben nun ergeben, dass jedes Jahr relativ häufig eine variable Anzahl von Nebenzweigen im Wipfelbereich, bisweilen auch einzelne oder mehrere Wipfel-Hauptäste absterben, und zugleich aus schlafenden Knospen weiter unten in der Oberkrone neue Triebe erscheinen, d. h. Reiterationen: Ihr Anteil in der Krone nimmt im hohen Alter immer mehr zu und kann schließlich (nahezu) 100 % betragen. Wenn man sich diesen ständigen „Umsetzungsprozess“ genauer ansieht (Abb. 3a), läuft in der Krone solcher alten Bäume eine beeindruckende Dynamik ab, die man bei einmaligem oder wiederholtem oberflächlichen Betrachten gar nicht wahrnimmt. Dabei werden die Kronen natürlich kleiner (sog. „Rückzug“ bzw. „Rückbau“), da ein mindestens partielles fortlaufendes Zurücksterben von Zweigen stattfindet (Stadien V bis IX in Abb. 2). Die Totäste im Wipfelbereich haben zwar Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit der Altbäume, sie müssen jedoch kein Anzeichen eines baldigen Absterbens des ganzen Baumes sein. Das wird erst wahrscheinlicher, wenn größere Kronenteile absterben bis in den Grobastbereich (Abb. 3c), wie z. B. durch Trockenstress in den Extremsommern 2003 und 2018. Aber selbst danach kann noch ein Neuaufbau der Oberkrone bei wieder günstigeren Bedingungen oder auch einer Sekundärkrone weiter unten erfolgen. Die Vielfalt der Abläufe ist enorm und lässt sich schwer schematisieren bzw. in festgelegten Teilschritten beschreiben. Hierzu erfolgen derzeit weitere Untersuchungen, die allerdings mühsam und aufwändig sind, da man an diese Kronenbereiche schwer herankommt – für Hebebühnen sind diese Bäume oft unzugänglich, zum Klettern meist zu gefährlich durch den erhöhten Totholzanteil. Sehr hilfreich ist dafür Stereo-Fotografie mit einem starken Teleobjektiv. Die bei älteren Bäumen häufigen und für längere Zeit durchaus altersentsprechend normalen Vitalitätsstufen VS 2 und 3 [7] machen deutlich, dass neben der Verzweigung dann noch andere Kronen- und ggf. Baumparameter für die Gesamteinschätzung solcher Bäume mitberücksichtigt werden müssen. Diese unterscheiden sich von Baum zu Baum und sollten nur erhoben werden, wenn eine Erfassung praktikabel ist. Dazu gehört z. B. die o. g. Frage, ob vor allem schwächere Seitenzweige absterben oder Hauptäste bis in den Grob- und Starkastbereich (5 bis >10 cm Durchmesser). Außerdem von Bedeutung sind das Baumalter sowie Reiterationen. Bei Letzteren ist vor allem zu klären, ob der Aufbau einer Sekundärkrone (Abb. 3d) erfolgt oder unterbleibt: Ersteres ist sehr positiv einzuschätzen (Retraktion [7]), Letzteres sehr kritisch („Resignation“ [9]).

Abb. 3a: „Umsetzungsprozess” im Wipfelbereich einer 200-jährigen Stieleiche mit Absterben von Seitenzweigen und Reiterationen

Abb. 3b: Partieller „Rückzugsprozess” im Wipfelbereich einer 180-jährigen Stieleiche mit Absterben von Wipfel-Grobästen und Reiterationen

Abb. 3c: Umfassender „Rückbauprozess” im Wipfelbereich einer 230-jährigen Stieleiche mit Absterben von Wipfel-Starkästen

Abb. 3d: Erfolgreicher Aufbau einer Sekundärkrone nach Absterben des oberen Wipfelbereiches mit dem Ergebnis einer sehr günstigen Einschätzung der zukünftigen Entwicklung für diese 230 Jahre alte Stieleiche

Literatur

[1] BÄRTELS, A.; SCHMIDT, P. A. (2014): Enzyklopädie der Gartengehölze. Ulmer, Stuttgart. [2] CHETAN, A.; BRUETON, D. (1994): The Sacred Yew. Penguin Books, London. [3] CITREE (2018): Planungsdatenbank Gehölze für urbane Räume. www.citree.de (Zugriff: 01.01.2021). [4] DUJESIEFKEN, D.; LIESE, W. (2008): Das CODIT-Prinzip. Haymarket Media, Braunschweig. [5] HAGENEDER, F. (2007): Die Eibe in neuem Licht. Neue Erde, Saarbrücken. [6] ROLOFF, A. (2017): Der Charakter unserer Bäume – ihre Eigenschaften und Besonderheiten. Ulmer, Stuttgart. [7] ROLOFF, A. (2018): Vitalitätsbeurteilung von Bäumen – Aktueller Stand und Weiterentwicklung. Haymarket Media, Braun- schweig. [8] ROLOFF, A. (Hrsg.) (2019): Starke Bäume Deutschlands. Quelle & Meyer, Wiebelsheim. [9] ROLOFF, A.; WEISGERBER, H.; LANG, U. ; STIMM, B. (Hrsg.) (1994-2018): Enzyklopädie der Holzgewächse. Wiley-VCH, Weinheim. [10] SCHÜTT, P.; LANG, U. M. (1996): Pinus longaeva (Westliche Grannen-Kiefer). Enzyklopädie der Holzgewächse 5: S. 1-8 [11] WEISGERBER, H. (1992): Die Gattung Populus (Pappel). Enzklopädie der Holzgewächse 54: S. 1-30. [12] WEIß, H. (2006): Pinus aristata (Grannen-Kiefer). Enzyklopädie der Holzgewächse 46: S. 1-12. championtrees.de (Zugriff: 1.1.2021).

Den vollständigen Originalartikel von Prof. Roloff aus AFZ-Der Wald 04/2019, S. 24-29 können Sie hier herunterladen.

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