Mahllinde (Vogtei, Westthüringen)
Baumart | Sommer-Linde (Tilia platyphyllos) |
Standort: | in der Gemeinde Vogtei bei Mühlhausen (an der Grenze zwischen den Ortsteilen Oberdorla zu Niederdorla, Eisenacher Straße/Ecke Mahllindenweg, Unstrut-Hainich-Kreis, Thüringen), unübersehbar auf einer Anhöhe |
Alter: | 400-500 Jahre (hergeleitet: 500) |
Stammumfang: | 9,95 m (gemessen 12.2021 in 1,3 m Höhe) |
Höhe: | ca. 25 m |
GPS-Daten: | N 51.161782, 10.435577 |
NEB ab: | 07. Mai 2022 (Bericht & Fotos) |
Ein Naturdenkmal, welches die Bewohner:innen der Gemeinde Vogtei zu Recht mit besonderem Stolz erfüllt, sind die drei Mahllinden genau auf der Grenze zwischen Ober- und Niederdorla bei Mühlhausen direkt an der Landstraße. Hier kann man bei Wetterwechseln aufgrund des weiten Rundumblicks mit Sicht auf den bis zu 500 m hohen Höhenrücken vom Nationalpark Hainich spektakuläre Wolkenbilder erleben.
Wer den Platz unter den Linden betritt, wird (hoffentlich) spüren, dass dies ein besonderer Ort ist. Und das war schon lange so, denn es soll sich um einen historischen Gerichtsplatz des Mittelalters – mit Vollstreckung von Todesurteilen – handeln. Und es war nach verschiedenen Quellen bereits in noch weit früherer Zeit eine Thingstätte oder ein strategischer Ort, so wie er sich auf einer Anhöhe mit Blick weit in die Landschaft befindet. Nördlich von Niederdorla ist beim Torfabbau im Moor eine kulturhistorisch bedeutsame Stätte gefunden worden, wo am heutigen Opfermoor der Vogtei von 600 vor bis 600 nach Christus von verschiedenen Völkern und Kulturen Kultstätten errichtet wurden.
Die Ortschaft Oberdorla ist seit 805 urkundlich erwähnt, Niederdorla seit 1223 und der Platz mit den 3 Linden befindet sich genau zwischen diesen beiden Ortsteilen der Gemeinde Vogtei, es handelt sich also um sog. Grenzbäume. Sie bilden zusammen eine beeindruckend harmonierende Einheit und sollen wohl auch genau das ausdrücken.
Man könnte also vermuten, dass die dickste der 3 Linden (unser Nationalerbe-Baum) noch von 1223 stammen könnte, dann wäre sie fast genau 800 Jahre alt – für eine Linde dieser Ausmaße von 10 m Stammumfang wäre das ein „normales“ Alter. Viele andere Gemeinden hätten dies auch einfach so behauptet und ohne Beweise festgelegt (wie es z.B. nicht weit entfernt mit angeblich 1.250 Jahren im hessischen Schenklengsfeld gemacht wird), hier in Vogtei ist man jedoch zurückhaltender und gibt das Baumalter mit 300-500 Jahren an – meinen großen Respekt für diese vorsichtigen Angaben. So einfach kann es unter annähernd normalen Umständen allerdings nicht sein, denn sonst müsste die Linde auf einer Quelle stehen, um so rasant gewachsen zu sein. Steht sie aber nicht, sondern im Gegenteil auf einer Anhöhe. Dies hat mich bei meinem ersten Besuch der Mahllinden sehr verwirrt, auch da die beiden Winter-Linden deutlich schlanker und wohl dementsprechend noch jünger sind (es werden 200-300 Jahre genannt).
Der lokale Historiker und Kreisarchivar Michael Zeng schreibt dazu 2018: „Die drei Bäume sind Linden. Die Linden, die nach Langula und Oberdorla zeigen, sind Winterlinden. In Richtung Niederdorla wächst eine Sommerlinde. Die Langulaer und Oberdorlaer Linden sind etwa 200 Jahre alt, die Niederdorlaer Linde zählt etwa 400 Lebensjahre. Wurden vor 400 Jahren auch Sommerlinden für Langula und Oberdorla gepflanzt? Gingen die beiden Bäume ein und wurden nach 200 Jahren neu gepflanzt, diesmal als Winterlinden? Oder gab es 200 Jahre lang nur die ‚Niederdorlaer Linde‘? Und wurde dann 200 Jahre später erstmals je eine Linde für Langula und Oberdorla gesetzt? Wir wissen es (noch) nicht. Vielleicht findet das mal jemand heraus.“
Aus meiner baumbiologischen Sicht kann es dafür eine sehr gute Erklärung geben, die durch die Gestalt der Linde nach kürzlicher eingehender Untersuchung bestätigt wird: es stand schon vorher eine Linde dort am Platz der besonders starken Sommer-Linde, und die heutige ist ein Wiederaustrieb von ihr, der so noch die Wurzeln des Vorgängers zur Verfügung hatte und nutzen konnte. Dazu passt ihr gewaltiger Stammumfang und ihre weite Wurzelausdehnung sehr gut, und damit konnte sie von Anfang an das Wasser in 3 m Tiefe erreichen. Zudem ist das auch zusammen mit der Ortsgeschichte schlüssig, denn hier an diesem Ort hat ganz bestimmt zur Zeit der Gerichtsbarkeit auch schon ein Baum gestanden, und somit mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Linde. Dieser erste Baum ist dann vor etwa 500 Jahren auf der exponierten Anhöhe z.B. durch Blitzeinschlag abgebrannt oder bei Sturm umgestürzt/abgebrochen und hat – wie bei Linden üblich und absolut sicher – wieder aus dem Wurzelstock ausgetrieben. Jetzt bin ich entspannt(er), seit ich bei meinem letzten Besuch vor Ort diese Erklärung gefunden habe. Es passt damit nun alles zusammen. Das Alter der dicksten Linde ist somit 400-500 Jahre, da der oberirdische Teil mit Stamm und Krone dafür zählt, und ihr Ursprung (des Vorgängers) kann 800 Jahre zurückliegen oder (des Vorvorgängers) sogar 1.200 Jahre.
Nur die beiden Winter-Linden sind und bleiben noch ungeklärt (ihr Stammumfang 5,10 m und 3,75 m): wann sie warum soviel später dazu gepflanzt worden sind, muss zunächst offen bleiben. Winter-Linden wachsen zwar deutlich langsamer als Sommer-Linden und bleiben kleiner, das passt hier ja wieder, aber für 500 Jahre sind sie definitiv zu dünn. Man müsste sie jahrringanalytisch untersuchen, um das herauszubekommen, aber anbohren möchte man sie dafür nicht – also bleibt es ein Rätsel und Geheimnis, damit können wir ja auch leben. Ich könnte mir vorstellen, dass nach all den Jahrhunderten mit nur einer Mahllinde den Vogtei-Bewohnern bewusst geworden ist, dass der bis dahin einzige Symbolbaum genau im Mittelpunkt der Gemeinde nicht die gesamte Gemeinde widerspiegelt. Daher hat man dann vor etwa 200 Jahren für die beiden anderen Ortsteile 2 weitere Linden dazugepflanzt, um die vollständige Dreier-Einheit zu veranschaulichen. Dabei wurde (das kommt auch heutzutage häufiger vor, wie unten erwähnt) nicht so genau hingesehen und man hat 2 Linden dazu gepflanzt, die rein zufälllig Winter-Linden waren und sind. Fest steht, dass gerade diese Dreiergruppe mit dem Platz darunter heute das Ambiente so besonders macht.
Aus diesen Gründen wäre ich sehr dankbar: falls jemand noch Fotos oder Gemälde/Zeichnungen von dieser Lindengruppe vor hundert Jahren oder früher hat oder findet, mir diese bitte zur Ansicht zukommen zu lassen (z.B. einen Scan), damit ich darauf die Entwicklung der Bäume und meine „neue Theorie“ noch weiter überprüfen kann. Solche früheren Darstellungen haben bei anderen sehr alten Bäumen auch schon häufiger den Durchbruch für eine Altersherleitung gebracht. Von vor 500 Jahren wird es wohl leider nichts mehr geben…
Interessant: diese Ma(h)llinden werden mal mit ‚h‘ und mal ohne ‚h‘ geschrieben: als Naturdenkmal, im Duden und auf vielen Karten heißen sie Mallinden (da Denkmal in der Landschaft), im Ort und auf dem Straßenschild steht Mahllinden (vielleicht wegen der vielen Mühlen in der Umgebung?). Da der lokale Historiker und Kreisarchivar Michael Zeng vehement für Mahllinden (mit ‚h‘) plädiert „als eingebürgerte regionale Besonderheit der lokalen Betonung und Aussprache“, haben wir es hier so übernommen.
Eine weitere Besonderheit an unserem Kandidaten ist, dass der Stamm dieser Sommer-Linde vor sehr langer Zeit ausgemauert und mit Beton verfüllt worden ist, wie man das im letzten Jahrhundert bei hohlen Bäumen nach damaligem bestem Wissen oft gemacht hat, da man dachte, dem hohlen Baum damit etwas Gutes zu tun. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass sich dadurch Fäulepilze im Holz besonders gut entwickeln und lässt solche Hohlräume deshalb inzwischen einfach offen. Die Bäume – und ganz besonders diese Baumarten mit 1000 Jahren Lebenserwartung – „wissen schon selbst am besten“, was gut für ihr Überleben ist und kommen mit den Hohlräumen klar. Man darf allerdings jetzt die Ausmauerung und Betonverfüllung auch nicht wieder entfernen, da sie z.T. bereits in den Baum eingewachsen ist und man ihn dabei sonst erheblich verletzen und destabilisieren würde. Diese Linde kommt damit erfreulicherweise gut zurecht, bei anderen Bäumen hat dies bisweilen schon zum Absterben geführt.
Hier noch eine Hilfe zur Unterscheidung von Sommer- und Winter-Linden, wie sie vor Ort also beide zu finden sind und nicht selten verwechselt werden:
Winter-Linde | Sommer-Linde | |
---|---|---|
Blätter unterseits | in den Nervenwinkeln rostrot-bärtig ± glatt | in den Nervenwinkeln weißbärtig; Nerven hervortretend |
Knospenschuppen | 2 (selten 3) | 3 (selten 2) |
Blüten/Früchte je Blütenstand | 5 bis 12 | 2 bis 5 |
Reife Früchte | glatt, zerdrückbar | mit Längsrippen, steinhart |
Jahrestriebe & Blattstiele | kahl | behaart |
Austrieb, Blüte | später (Ende Juni/Anfang Juli) | zwei Wochen früher |
Ansprüche | geringer | höher |
Dabei sind nach meiner Erfahrung die wichtigsten/hilfreichsten Erkennungsmerkmale der Winter-Linde die schon im Frühsommer kahlen Triebe und Blattstiele sowie die Blüten-/Fruchtzahl 5-12 und die zerdrückbaren Früchte. Zwischen beiden Linden gibt es auch einen Kreuzungsbastard, dessen Merkmale variabel zwischen beiden Eltern stehen. Diese Holländische Linde (Tilia x europaea) ist in Sorten (z.B. „Kaiser-Linde“) heute einer der beliebtesten gepflanzten Stadtbäume und vor allem als Straßenbaum inzwischen besonders häufig zu finden. Von Natur aus kreuzen sich beide Mutterarten kaum wegen des um 2 Wochen unterschiedlichen Blütezeitraums.
Nicht weit von den Mahllinden wurde in Sichtweite am 26. Februar 1991 solch eine Kaiser-Linde gepflanzt, und zwar mit schon 60 Jahren und 12 m Größe: als Wahrzeichen für den damals neuen geographischen Mittelpunkt des wiedervereinigten Deutschlands zwischen dem Opfermoor und Niederdorla!
Für die Biologie und Nutzung der Linden ist bedeutsam, dass sie erst spät blühen (im Juni/Juli) und ihre sehr wohlriechenden Blüten von Bienen bestäubt werden. Daher gibt es den besonders beliebten Lindenhonig, und die Imker kümmern sich engagiert um den Schutz von Linden – je älter desto besser, da umso mehr Blüten: bei Uraltbäumen können es über eine Million Blüten pro Baum sein, wie Hochrechnungen von eigenen Erhebungen an Kronenteilen ergeben haben. Die Blüten wurden und werden zudem auch gerne für Lindenblüten-Tee genutzt. Aus diesen Gründen standen früher an jeder größeren Hofzufahrt 2 Linden, auch heute findet man davon noch etliche Überlebende.
Text: Andreas Roloff, TU Dresden