Ess-Kastanie (Keschde) Gleisweiler
Baumart | Ess-Kastanie, Edel-Kastanie, Marone, Keschde (Castanea sativa) |
Standort: | Gleisweiler (Verbandsgemeinde Edenkoben), Landkreis Südliche Weinstraße, Rheinland-Pfalz; oberhalb vom Brunnen auf der Bergstraße bei Haus Nr. 19 an einem Hohlweg, der links am Baum vorbeiführt |
Alter: | 300-500 Jahre (geschätzt), angenommen 400 Jahre |
Stammumfang: | 7,77 m (gemessen 07.2021 in 1,5 m Stammhöhe, mittig an steiler Böschung) |
Höhe: | ca. 23-24 m |
GPS-Daten: | N 49.243598, O 8.065174 |
NEB seit: | 16. Oktober 2021 (Bericht & Fotos) |
Wenn man in Gleisweiler an der oberen Bergstraße beim beeindruckenden 500 Jahre alten Brunnen angekommen ist (auf einem kleinen Dorfplatz, Abzweigung zur Kirchstraße), kann man die Keschde nicht mehr übersehen: sie steht oberhalb am Ende eines kurzen Seitensträßchens, wo ein Hohlweg beginnt und dominiert dort das gesamte Umfeld.
Der Stammumfang ist nur schwierig zu ermitteln, da der Baum an einer sehr steilen Böschung steht und man oberhalb im Bereich der Wurzelanläufe landet, wenn man stammmittig in 1,3 m Höhe messen will. Mit den gemessenen 7,77 m Stammumfang gehört der Baum zu den 5 stärksten Ess-Kastanien Deutschlands.
Der Standort ist schwer einzuschätzen und damit auch ihr Alter: der Baum steht an einem langgestreckten Hang mit oberhalb vielen Bauwerken und Bodenveränderungen, die Wasserversorgung wird daher als mäßig eingeschätzt, was natürlich früher nicht genauso gewesen sein muss. Damals stand sie nach Aussagen des Eigentümers auf einer Wiese, das Haus neben dem Baum wurde etwa 1900 gebaut, die weiteren Häuser und Zufahrten oberhalb erst (z.T. deutlich) später. Daher wird der Zuwachs früher vermutlich höher als heute gewesen sein, was man aber schwer für das gesamte Baumleben und seinen früheren Zustand seriös herleiten kann. Jahrringe möchte man wegen der damit verbundenen Beschädigung nicht aus dem Stamm ziehen, daher bleibt es (s)ein Geheimnis mit dem Ergebnis einer relativ großen möglichen Altersspanne von 400 + 100 Jahren.
Beeindruckend bei dieser Baumart sind ihre vielen deutschen und regional mundartlichen Namen: oben sind vier genannt, es gibt aber noch mehr, die sogar teilweise in einzelnen Orten variieren. So kennt man in Gleisweiler den Namen Edel-Kastanie gar nicht – am ehesten noch Ess-Kastanie oder einfach Keschde.
Gemeldet wurde der Baum von einem Touristen, der seinen Urlaub in Gleisweiler verbrachte. Die Recherchen und Vorbereitungen zur Ausrufung wurden sehr unterstützt vom außerordentlich engagierten Bürgermeister Thorsten Rothgerber, der sich bewundernswert um alles in seiner Gemeinde kümmert. So stellte sich bei einer aktuell vorgenommenen Vermessung heraus, dass der Baum zu 4/5 auf Privatgelände steht, also früher an den Rand des privaten Grundstückes gepflanzt wurde. Dann ist er im Laufe der Jahrhunderte immer dicker geworden, in den öffentlichen Straßenraum hineingewachsen und daher heute zu 1/5 „Gemeinde-Baum“ – eine interessante Situation. Eigentümer und Gemeinde sind sehr stolz auf diesen Baum und begeistert über die nun erfolgende Auszeichnung.
Gleisweiler befindet sich im berühmten zweitgrößten deutschen Intensiv-Weinanbaugebiet Pfalz (hier der Bereich Südliche Weinstraße rund um die Stadt Landau). Dies passt besonders gut zur Kastanie, da ihr Holz für Rebstöcke und ihre Maronen in der Küche Verwendung finden: die Früchte sind sehr begehrt, in jedem Herbst fallen von dieser Keschde Tausende herunter, die vorzüglich schmecken. Der Hinzlochbrunnen nahe der Kastanie wurde bereits 1521 erstmals urkundlich erwähnt und ist somit jetzt genau 500 Jahre alt, könnte also ebenso alt sein wie die Keschde! Der Brunnentrog ist noch im Originalzustand erhalten, und solche Brunnen wurden damals nicht nur als Wasserspender von Mensch und Tier genutzt, sondern waren auch für Handwerker von Bedeutung und vor allem das Kommunikationszentrum der Gemeinde.
Keine andere unserer häufigeren Baumarten hat solche Blätter: bis 25 cm lang und glänzend, am Rand mit vielen groben Grannenzähnen. Dadurch ist die Ess-Kastanie etwas Besonderes und wird daher auch Edel-Kastanie genannt. Die Bäume können sehr groß werden, wie man hier gut sehen kann. Der Stamm ist meist stark drehwüchsig, bei diesem Baum allerdings kaum. Zudem kennt wohl jeder von Weihnachtsmärkten die attraktiven Maronen-Früchte, die von einem klettenartigen Fruchtbecher umhüllt sind (solange sie am Baum hängen). Und die Lebenserwartung von über 1.000 Jahren ist ebenfalls beeindruckend – so gibt es sehr alte Baumskulpturen dieser Baumart in Europa, die stattliche Stammumfänge von deutlich über 10 m erreichen. Auch der dickste lebende Baum Europas dürfte eine Ess-Kastanie sein: am Ätna auf Sizilien, mit sagenhaften 22 m Stammumfang.
In höherem Alter treiben die Bäume dann vermehrt aus dem Stammfuß wieder aus und können so zu eindrucksvollen Baumskulpturen werden (wenn man sie lässt), für die das Alter dann schwierig anzugeben ist. Es kann durch diesen Wiederaustrieb theoretisch deutlich über 1.000 Jahre erreichen, so auch bei dem Baum am Ätna. Bei der Keschde hier in Gleisweiler handelt es sich noch um den Originalstamm.
Die Blütenstände erscheinen erst ab einem Alter von etwa 30 Jahren und immer erst im Juni, sie färben die Kronen dann auffällig hell. Daran erkennt man um diese Zeit schon von weitem, wo sich Ess-Kastanien befinden. Weibliche Blüten treten nur an der Basis der Blütenstände auf, im langen oberen Bereich dagegen nur männliche. Demzufolge entwickeln sich die Früchte immer nur im unteren Bereich, so dass die Fruchtstandachse für die im reifen Zustand schweren Maronen nicht übermäßig verstärkt werden muss. Sehr viele Insektenarten sind für die Bestäubung zuständig, auch Bienen: Maronenhonig ist auffallend dunkel bernsteinfarben und hat einen ganz besonderen Geschmack. Windbestäubung ist ebenfalls möglich.
Die Maronen sind Nussfrüchte und befinden sich meist zu dritt in einem klettenähnlichen stachligen Fruchtbecher, der zur Reifezeit zusammen mit den Nüssen herabfällt. Bei den Früchten ist interessant, wie unterschiedlich sie von Baum zu Baum schmecken (Süße, Bitterkeit, Milde). Kenner wissen das und sammeln nur unter bestimmten Bäumen, denn die Unterschiede zwischen den Bäumen bleiben über die Jahre erhalten. Regelmäßige Fruktifikation mit reifen Früchten klappt am besten in wärmeren Regionen und dies in Zukunft dann wohl häufiger. Sogar in Südschweden können sie reif werden.
Ess-Kastanien sind nicht mit den Rosskastanien verwandt, denn es handelt sich um ganz verschiedene Fruchttypen und Familien. Äußerlich sehen sich die Früchte allerdings sehr ähnlich mit den Stacheln auf der Fruchtwand bzw. auf dem Fruchtbecher, was auch bei beiden zum Namens-Bestandteil ‚Kastanie‘ geführt hat.
Das natürliche Areal der Ess-Kastanie lässt sich schwer rekonstruieren aufgrund ihrer mehr als 2.000-jährigen menschlichen Verbreitung und Pflanzung in Europa. Schon zur Römerzeit wurde sie für Rebstöcke und wegen ihrer Früchte außerhalb des Areals angebaut und wird dafür auch heute noch genutzt. Die Ess-Kastanie wird aufgrund ihrer langen Einbürgerungsgeschichte als heimische Baumart eingestuft. Mit ihrer Herkunft aus dem Mittelmeerraum ist erklärbar, dass die Baumart mit heißen trockenen Sommerperioden gut zurechtkommt und vom Klimawandel profitieren wird. Die größten Ess-Kastanienbestände in unserem Land gibt es in Westdeutschland entlang dem Rheintal.
Die Holzverwendung der Baumart erfolgt als erstklassiges Nutzholz ähnlich wie Eiche (als Bau- und Möbelholz sowie für Gebrauchsgegenstände) sowie im Weinbau für Rebstöcke und Zaunlatten, ansonsten als Brennholz.
Bei der Nutzung sind aber als ebenso bedeutsam die Früchte zu nennen – es gibt ganze Bücher darüber, was man alles damit und daraus machen kann: Suppen, Bratenfüllungen (gehört in jede Martinsgans), Süßspeisen, Torten, Brot, Käse, Pralinen oder einfach „heiße Maronis“. Die Maronen waren ursprünglich sehr klein und fast ungenießbar, sind dann über Jahrtausende zu größeren und schmackhafteren Früchten gezüchtet worden. Bei Äpfeln und Birnen ist im Obstbau dasselbe allgemein bekannt und selbstverständlich, bei der Marone denkt man darüber nicht nach. Sie waren bis ins 17. Jahrhundert in wärmebegünstigten Regionen ein Volksnahrungsmittel: „ein Baum pro Kopf“ war angesagt! In Notzeiten mit Missernten in der Landwirtschaft halfen Maronen beim Durchhalten.
Aufgrund ihrer Robustheit, ihrer Früchte und des besonderen Aussehens ist die Ess-Kastanie auch ein beliebter Stadtbaum, vor allem in Parkanlagen, großen Gärten und an Gutshäusern. Dabei ist zu beachten, dass die Bäume groß werden. Das Sammeln der Früchte im Herbst ist eine attraktive Familienbeschäftigung. Der Spruch „Für jemanden die Kastanien aus dem Feuer holen“ bezieht sich auf die Marone.
Die Ess-Kastanie ist also eine besonders geschätzte Baumart mit viele attraktiven Eigenschaften und Nutzungsmöglichkeiten. Wer sie pflanzt, kann sich auf 500-1.000 Jahre Lebenserwartung freuen und vielen Nachfahren damit eine Freude machen – so ist es auch hier bei dieser Keschde in Gleisweiler gelaufen, und nun erhält dieser kostbare Baum unsere höchstrangige Auszeichnung: wir wünschen ihm damit noch eine lange und gesunde Zukunft.
Text von Andreas Roloff, TU Dresden
Baumpflege- und Sicherungsmaßnahmen:
- Überprüfung der Verkehrssicherheit und Einschätzung der Lebenserwartung
- routinemäßige Kronenpflege, Vereinzeln und Einkürzen der Ständer
- Optimierung des Stammumfeldes und Schutz vor Betreten des Wurzelraumes