Schöne Eiche Harreshausen (Landkreis Darmstadt-Dieburg)
Baumart | Säulenförmige Stiel-Eiche (Quercus robur) |
Standort: | im Stadtteil Harreshausen von Babenhausen (Landkreis Darmstadt-Dieburg), 600 m nördlich außerhalb des Ortskernes auf einem Acker am Feld- und Fernradweg von Harreshausen nach Mainhausen (Verlängerung der Gersprenzstraße aus dem Ort nach Norden) |
Alter: | 585 Jahre (durch belegte Jahrringbohrungen), nach eigener Recherche auch 500 Jahre möglich |
Stammumfang: | 4,30 m in 1,3 m Stammhöhe (gemessen Juni 2022) |
Höhe: | ca. 16 m (nach Blitzeinschlägen und Sturm-Astbrüchen stark eingekürzt) |
GPS-Daten: | N 49.977911, 8.984721 |
NEB seit: | 08. Oktober 2022 (Bericht & Fotos) |
Wenn man von der offiziellen Seite (Fahrradweg/für Pkw gesperrte Forststraße) kommt, und von dort die „Schöne Eiche“ sucht, sieht man sie von kleineren Linden umgeben (als Sturm- und Blitzschutz) auf dem Feld stehen“ (Bild 1). Sie ragt aus den Linden oben gut erkennbar heraus – beim Herangehen zu den Bäumen wird dann alles klar und hervorragend auf der ganz neu im März 2024 installierten Infotafel erläutert.
Der Stamm ist für Stiel-Eiche ungewöhnlich schnurgerade und astfrei (Bild 2), was ein deutliches Zeichen für den früheren Aufwuchs im Bestand ist. Er ist weitgehend hohl, man kann (so erzählt der dort zuständige Baumpfleger) von oben bei den Astansätzen tief in den Stamm hinein- und hinunterblicken. Die älteste dokumentierte Vermessung des Baumes stammt von 1781: damals hatte er einen Stammdurchmesser von 65 cm, eine Stammlänge von 12 m bis zum Kronenansatz und schon eine Gesamthöhe von 30 m.
Die Eiche ist von 4 in absehbarer Zeit fast genauso dicken Linden umgeben, welche im Viereck um die Eiche positioniert sind (Bild 3). Sie wurden nach und nach seit etwa 150 Jahren als Sturm- und Blitzschutz an die Eiche gepflanzt, da diese frei auf dem Feld stand und mehrmals Blitze in sie einschlugen (z.B. 1871 und 1928), mit erheblichen Kronenschäden und Stammfäule als Folge. Und bei Stürmen und Gewitterböen brachen immer wieder Kronenteile von ihr ab.
In 3,70 m Entfernung vom Stamm der Eiche steht zudem ein ebenfalls säulenförmiger „Nachkömmling“, wahrscheinlich vor etwa 50 Jahren gepflanzt oder aus dem Sämling einer Eichel hervorgegangen – das ist ungeklärt (Bild 4): im ersten, wahrscheinlicheren Fall wäre es die Sorte ‚Fastigiata‘ (Säuleneiche), im zweiten ein natürlicher Nachkömmling. Der alte Mutterbaum selbst (mit dem Namen „Schöne Eiche“) ist eine natürlich entstandene Mutation mit straff aufrechtem Zweigwuchs ab etwa 10 m Stammhöhe – dort ist der heutige Kronenansatz, darunter wuchsen Äste normal seitlich vom Stamm weg und wurden entfernt oder sind durch Beschattung von Nachbarbäumen abgestorben. Nur etwa 5% der Eicheln bringen wiederum aufrecht wachsende Nachkommen hervor.
Dieser Baum ist die „Mutter aller Säuleneichen“ in großen Teilen Europas geworden und wurde deshalb seit Jahrhunderten berühmt und bekannt. Es gab darüber schon seit dem 18. Jahrhundert Beschreibungen und besondere Schutzmaßnahmen, sogar in Kriegen wurde immer auf ihre Unversehrtheit geachtet!
Die Krone setzt abrupt am Stamm an, am Kronenansatz sind deutliche Schäden zu erkennen (viele Fäulen), aber der Baum wurde und wird von Baumpflegern regelmäßig kontrolliert und ist gegen Ab- und Auseinanderbrechen durch ein stammumspannendes Drahtseil sowie alle Äste verbindende Kronensicherungen gesichert (Bild 5).
Durch meine Anfrage nach dem Baumeigentümer an den Bürgermeister im April 2022 angeregt, hatte die Stadt Babenhausen (Harreshausen ist Ortsteil davon) bei Prüfung der Liegenschaftskarten und von historischen Unterlagen festgestellt, dass die Eiche seit Mitte des 20. Jahrhunderts einer Landwirtfamilie gehört: der Baum wurde nach dem Krieg durch behördlich angeordnete Grundstückstausche und Arrondierungen dem zuständigen Landwirt (und damit der heutigen Eigentümerfamilie) mit übertragen. Die Familie war mit 3 Generationen beim Vororttermin zur Besprechung anwesend, sehr stolz auf ihren so berühmten Baum sowie höchst interessiert und baumbegeistert: der Baum ist bei ihnen sicher in ebenso sorgsamer Obhut wie sonst bei einer Gemeinde oder Kirche, das merkte man eindrucksvoll.
Die Stimmung aller Beteiligten bei der Vorbesprechung war äußerst zielorientiert und konstruktiv, und es war deutlich zu spüren, dass alle Anwesenden diese neue Ehrung des Baumes als Nationalerbe unbedingt erlangen möchten. Auch die Gemeinde fühlt sich seit langem für diesen Baum mit zuständig und macht intensiv für ihn „Marketing“, der Landkreis als Untere Naturschutzbehörde kümmert sich schon lange sehr verantwortungsvoll um seine Pflege und Sicherung.
Die Eiche soll fast 600 Jahre alt sein, als Nachweis dafür gilt eine zweifache Jahrringbohrung Ende der 1930er Jahre mit dem Ergebnis von damals 500 Jahrringen (entsprechend heute also 585 Jahre). Natürlich zählt man bei so einem dicken Baum am Bohrspan wohl nicht genau 500 Jahre (dann wären es eher 487 oder 516 gewesen), daher ist bei der sehr runden Zahl 500 von einer gutachtlichen Rundung auszugehen, sie könnte auch eine Schätzung mit Einbeziehung des sicher schon damals innersten hohlen Stammbereiches sein. Für diesen nicht mehr intakten Stammkern könnten die fehlenden Jahrringe geschätzt und gerundet worden sein.
Allerdings kann heute niemand mehr wissen, wie der Baum im frühen Leben aufgewachsen ist, z.B. mit Beschattung oder Konkurrenz. Sicher ist aber, dass die Eiche bis vor 240 Jahren in einem dichten Waldbestand mit Eichen, Buchen und Birken aufwuchs, der dann 1781 zur Gewinnung von Biwakholz komplett beseitigt wurde. Dabei hat man diesen säulenförmigen Baum entdeckt und ihn deshalb stehengelassen und sogar in Kriegszeiten geschützt – der Baum wurde mehrmals bewacht! Es gibt zur Eiche seit damals eine beeindruckend dicht belegte Chronologie mit Bildern und urkundlichen Quellen, und sie ist dadurch bereits seit Jahrhunderten ein großer, auffälliger und viel beachteter (und genutzter) Baum gewesen (Bild 7). Eine umfassende Darstellung der Baumhistorie findet sich im sehr lesenswerten Buch von Georg Wittenberger: „Der Wunderbaum von Harreshausen“ (HGV Babenhausen 2005, Bild 6).
Wenn die Eiche weiter so von den 4 Linden wie derzeit eingewachsen bleiben und umwachsen würde, wäre demnächst ihr Absterben wegen Lichtmangels zu befürchten und man könnte sie dann gar nicht mehr erkennen und erleben. Es gab daher von allen Seiten – Eigentümerfamilie, Gemeinde, Naturschutz und Historiker – die Übereinstimmung, dass alles getan werden muss, um den Baum behutsam wieder erlebbar zu machen und ihn durch mehr Lichtversorgung so lange wie möglich zu erhalten.
Damit ist klar: natürlich ist der Baum mit seinem Sturm- und Blitzschutzbedarf eine Herausforderung, aber es gibt Möglichkeiten, dieses Problem anzugehen – und die werden wir nun zeitnah umsetzen (Simulation in Bild 8).
Text und Bilder von Andreas Roloff, TU Dresden